28/2/2019 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor dem Ausspruch von Kündigungen, Licht im Dunkeln?Gerne möchten wir Sie auf ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2018, gerichtliches Aktenzeichen 2 AZR 378/18 hinweisen. In diesem Fall ging es um die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen und die Durchführung der zuvor notwendigen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung. In der arbeitsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung war und ist höchst umstritten, wann und wie die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Kündigung eines schwerbehinderten Menschen erfolgen muss. So wurde bspw. vertreten, dass die Schwerbehindertenvertretung schon vor der Antragstellung beim Integrationsamt hinzuzuziehen ist. Weiter wurde vertreten, dass die Schwerbehindertenvertretung vor dem Betriebsrat beteiligt werden muss, usw. In diese zugegebenermaßen verwirrenden Auffassungen hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung vom 13.12.2018 „Licht gebracht“. Das Bundesarbeitsgericht führte zunächst aus, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die ein Arbeitgeber ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam ist. Das Bundesarbeitsgericht erläuterte in seinem Urteil u.a. konkret Folgendes: Zwar ist die Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich unverzüglich zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Jedoch kann (und muss gegebenenfalls) eine verspätete Beteiligung nachgeholt werden. Die Nachholungsmöglichkeit besteht kraft Gesetz. Die Nachholungsmöglichkeit besteht, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen ist. Erfolgen Unterrichtung und Anhörung vor Durchführung bzw. Vollzug der Entscheidung, liegt -doch noch- eine ausreichende Beteiligung vor. Die Nachholungsmöglichkeit wird im Falle einer beabsichtigten Kündigung nicht durch die „neue“ Unwirksamkeitsanordnung in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX a. F. (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) verdrängt. Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht. Die Kündigungsentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch „vollzogen“. Mit der Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats oder dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt nimmt der Arbeitgeber die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vorweg noch legt er sie fest. Der Arbeitgeber hört die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß an, wenn er sie ausreichend unterrichtet und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Die Unterrichtung muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Dabei besteht keine Reduzierung des Unterrichtungsinhalts auf „schwerbehindertenspezifische Kündigungsgründe“. Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung nicht nur ausreichend unterrichten, sondern ihr auch genügend Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Das Gesetz enthält insoweit eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen. Dies hat zur Folge, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es hierbei nicht. Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt. Im Endeffekt reicht es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus, die Schwerbehindertenvertretung in gleicher Form und mit gleichem Inhalt wie den Betriebsrat -allerdings in zwei getrennten Schreiben- vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören. Wichtig ist vor allem, dass die Anhörung nicht schon erfolgen muss, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht hat, wie oben angeführt. Nichts desto trotz empfehlen wir weiterhin, die Schwerbehindertenvertretung bei einer beabsichtigten Kündigung eines schwerbehinderten Menschen schon frühzeitig „ins Boot zu holen“. Eine Vielzahl von Instanzgerichten hat bisher jedenfalls eine abweichende Rechtsauffassung vertreten und es sollten keine unnötigen Risiken eingegangen werden. Die Rechtslage dürfte sich im Hinblick auf die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung durch das angesprochene Urteil des Bundesarbeitsgerichts erheblich entspannen. Für weitere Auskünfte stehen wir selbstverständlich gerne zur Verfügung. Kommentare sind geschlossen.
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