Aus gegebenem Anlass möchten wir nochmals auf die Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung hinweisen.
Zwar geht die Rechtsprechung nach wie vor davon aus, dass die Durchführung des BEM-Verfahrens keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung darstellt. Dennoch führt ein Unterlassen des BEM regelmäßig zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dies deshalb, weil dessen Fehlen bzw. ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM erhebliche Auswirkungen auf die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess hat. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall umfassenden Sachvortrag dazu zu leisten, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist, eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes, auch unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel, ausgeschlossen ist und ein Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich ist. Dieser Sachvortrag muss im Falle des Bestreitens, mit dem regelmäßig zu rechnen sein wird, auch zur Überzeugung des Gerichts bewiesen werden können. Der Arbeitgeber muss also im Fall eines fehlerhaften oder nicht durchgeführten BEM-Verfahrens aufzeigen können, weshalb ein solches BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Sobald es auch nur denkbar erscheint, dass ein BEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt. Die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM-Verfahrens, das den Anforderungen der Arbeitsgerichte entspricht, ist für den Arbeitgeber daher mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden. Dieser beginnt bereits mit dem Einladungsschreiben. Ein nicht ordnungsgemäßes BEM-Anschreiben wirkt sich im Ergebnis wie ein unterlassenes BEM aus. Nach der aktuellen Rechtsprechung erfüllt der Arbeitgeber die ihm obliegende Initiativpflicht zur Durchführung eines BEM nur, wenn er den Arbeitnehmer zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (Urteil des BAG vom 20.11.2014, Az. 2 AZR 755/13). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf den Gesetzestext hinausgeht. Zu diesen Zielen zählt die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und der Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei einer diesen Anforderungen entsprechenden Unterrichtung kann vom Versuch einer ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Rede sein (Urteil des BAG vom 20.11.2014, Az. 2 AZR 755/13). Zwingend erforderlich ist darüber hinaus der Hinweis auf die Freiwilligkeit des BEM und die jederzeitige Widerrufbarkeit der Zustimmung zur Teilnahme durch den Arbeitnehmer (Urteil des BAG vom 29.06.2017, Az. 2 AZR 47/16). Aus dem Einladungsschreiben muss weiterhin hervorgehen, dass die Beteiligung der Interessenvertretungen (Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung) an den BEM-Gesprächen nur auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolgt und er die Zustimmung hierzu jederzeit widerrufen kann. Zudem kann die Vorstellung beim Werks- bzw. Betriebsarzt für das Verfahren erforderlich sein. Der Arbeitnehmer ist dann darauf hinzuweisen, dass auf die Hinzuziehung verzichtet und die benötigten arbeitsmedizinischen Angaben auch über einen anderen Arzt seines Vertrauens beigebracht werden können (Urteil des LAG Nürnberg vom 18.02.2020, Az. 7 Sa 124/90). Das LAG Hessen hat in einer Entscheidung vom 13.08.2018 (Az. 16 Sa 1466/17) die Auffassung vertreten, das Anschreiben müsse einen Hinweis darauf enthalten, dass vom Arbeitgeber die örtlichen Rehabilitationsträger hinzugezogen werden, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Die Durchführung des BEM-Verfahrens wird zusätzlich dadurch erschwert, dass in den Tatsacheninstanzen teils sehr unterschiedliche Maßstäbe bestehen. Beispielhaft sei hier auf zwei Entscheidungen hingewiesen, die zwar durch dasselbe Gericht (LAG Rheinland-Pfalz) allerdings durch unterschiedliche Kammern gefällt wurden. In dem einen Fall ging es um häufige Kurzerkrankungen eines Gebäudereinigers. Der Arbeitnehmer hatte die Einladung zu einem BEM angenommen, erhielt aber vor dem vereinbarten Termin das Kündigungsschreiben (Urteil vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17). Das LAG hat hier, ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens aus eigener Anschauung die Auffassung vertreten, es sei nicht ersichtlich, wie die Durchführung eines BEM zu einer Reduzierung der Kurzerkrankung in der Zukunft führen könne. Die andere Kammer kam in einem sehr ähnlichen Fall zum gegenteiligen Ergebnis (Urteil vom 10.10.2017 - 6Sa 43/17). Vor diesem Hintergrund raten wir Arbeitgebern generell dazu, regelmäßig zu überprüfen, ob die derzeitige Durchführung des BEM-Verfahrens und insbesondere die Anschreiben mit den Einladungen zum Erstgespräch den aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung genügen. Sollten Sie diesbezüglich unsicher sein, unterstützt Sie unser Team im Arbeitsrecht selbstverständlich gern bei der Überprüfung. Christian von Heyden Rechtsanwalt Kommentare sind geschlossen.
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